Interkulturelle bzw. transkulturelle Kompetenz wird vielfach - und zu Recht - als eine Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhunderts bezeichnet. Unsere Gesellschaft verändert sich demographisch
rasant, sie entwickelt sich weiter hin zu einer multiethnischen (und gleichzeitig multilingualen) Gesellschaft. Diese Entwicklung ist aber keineswegs eine neue Erscheinungsform, die etwa durch
Fluchtzuwanderung in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten entstanden ist. Das „deutsche Volk“ war - hauptsächlich bedingt durch seine zentrale Lage in Mitteleuropa - seit Angedenken bunt und
Deutschland historisch betrachtet immer ein Vielvölkerstaat. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Das große Potenzial des transkulturellen Wissens für Unternehmen und
Sicherheitsbehörden ist bisher aber kaum ins Bewusstsein der Verantwortlichen gerückt.
Der Begriff der Transkulturalität löste als kulturwissenschaftliches Paradigma größtenteils das Konzept der Interkulturalität ab. Das Modell der Interkulturalität („inter“, lat. für
„zwischen“) steht seit den 1980er Jahren für eine große Bandbreite an Vorstellungen und Konzepten hinsichtlich des Zusammenlebens bzw. für das Aufeinandertreffen von verschiedenen Kulturen
(Eigen- und Fremdkultur). Im Kern sind damit die Kommunikation bzw. Interaktion zwischen Menschen verschiedener Kulturräume gemeint. Interkulturalität geht davon aus, dass man in der Lage
ist, die jeweilig andere Perspektive einnehmen und bewerten zu können. „Nach Konzepten der klassischen Interkulturalität sind Kulturen Orientierungssysteme, die Denken, Wahrnehmung, Werte und
Handeln der Mitglieder von Gemeinschaften bestimmen. Da Menschen die Kulturen durch soziale Lernprozesse verinnerlichen, haben alle einen, ihr Verhalten prägenden, kulturellen Hintergrund. Damit
können Menschen verschiedenen Kulturkreisen zugeordnet werden.“ (Kolle 2019). Nach diesem Modell könne eine klare Zuordnung in Eigen und Fremd oder Wir und die Anderen erfolgen, was wie dargelegt
mittlerweile als überholt gilt. Bei der Begegnung von zwei Kulturen entstehen kulturelle Überschneidungssituationen dann, wenn es zu wechselseitigen Beziehungen kommt. „Zwischen dem
Eigenkulturellen und dem als „fremd“ Empfundenen entsteht ein Zwischenraum der Uneindeutigkeit, Vagheit und Neuartigkeit, der bedrohlich oder auch anregend wirken kann“ (Thomas 2005), für dessen
Bewältigung es interkultureller Kompetenz bedarf. Soweit die - mittlerweile überholte - Theorie. Denn auch bei diesem Modellansatz besteht die Hauptkritik darin, dass Kulturen nicht derart eng
abgrenzbar sind. Zudem besteht eine recht große „Fettnäpfchengefahr“, da man glauben könnte, eindeutige Verhaltensmuster checklistenartig bei einem der zahlreich angebotenen interkulturellen
Fortbildungskurse erlernen zu können und dann später in der Praxisanwendung feststellt, dass die Wirklichkeit doch ganz anders aussieht. So outet man sich z.B. in Indien recht schnell als
Tourist, wenn man in größeren Städten die Einheimischen mit einem „Namasté“ begrüßt, denn es ist im Alltag gerade unter jüngeren Menschen längst nicht mehr üblich, in ländlichen Gebieten aber
noch weitverbreitet. Kulturen verändern sich rasant!
Auch für das Modell der Transkulturalität gibt es verschiedene Definitionsansätze. Eine sehr prägnante von Donald Cuccioletta, einem kanadischen Professor für Geschichte, lautet „transculturalism
is seeing oneself in the other“. Transkulturalität („trans“, lat. für „auf der anderen Seite bzw. über oder hindurch“) bedeutet im Kern, dass die Begegnung zweier unterschiedlicher Kulturen
als Konsequenz zu einer Verwischung der Grenzen bis hin zur Aufhebung dieser Grenzen führen kann. Aus den separaten Einzelkulturen entsteht deshalb aber keine „Globalkultur“, sondern es entstehen
Individuen und Gesellschaften, die transkulturelle Elemente in sich tragen, ohne die eigenen Wurzeln zu ignorieren. „Die Kombination von verschiedenen vertikalen und horizontalen Elementen
verschiedener Herkunft macht so jedes Individuum transkulturell.“ (Welsch 2009). Grundlegend bei diesem Modell ist die Erkenntnis, dass in einer globalisierten Welt Kulturen weder territorial
verortet werden können noch an homogene Gemeinschaften gebunden sind. Während bei der Interkulturalität Kulturen als „Kugeln“, „Inseln“ oder „Sphären“ angesehen werden, in denen es lediglich
an den kulturellen Außengrenzen zu Austauschprozessen kommt (Kulturkonzept nach Herder), geht die Transkulturalität von der Öffnung, Dynamisierung und einem vielfältigen und wechselseitigen
Durchdringen der Kulturen aus (Fluidität). Menschen derselben Nationalität können sich kulturell deutlich voneinander unterscheiden. Eine kulturelle Identität muss nichts (mehr) mit einer
Nationalität oder Staatszugehörigkeit zu tun haben. Zurückführen lässt sich der Begriff der Transkulturalität auf den kubanischen Ethnologen Fernando Ortiz, der diesen bereits 1940 prägte. Die
US-amerikanische Wissenschaftlerin Mary Louise Pratt griff das Konzept 1992 auf und trug maßgeblich zu dessen Verbreitung innerhalb der Geisteswissenschaften bei. Im deutschsprachigen Raum wurde
das Konzept der Transkulturalität durch die philosophische (Wolfgang Welsch), soziologische (Ulrich Beck) und anthropologische (Ulf Hannerz) Globalisierungsforschung weiterentwickelt.
Alle auf dieser Internetpräsenz verwendeten Texte sind urheberrechtlich geschützt. Sollten Sie Teile hiervon verwenden wollen, wenden Sie sich bitte an den Seitenbetreiber.