Die Kriminalwissenschaften werden klassischerweise in juristische und nichtjuristische Kriminalwissenschaften unterteilt. Zu den juristischen Kriminalwissenschaften zählt man nach h.M. die
Strafrechts- und die Strafprozessrechtswissenschaft, zu den nichtjuristischen die Kriminologie und die Kriminalistik. Da die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen den Rechtswissenschaften und
der Kriminalistik aber recht hoch sind und Richter*innen, Staatsanwält*innen und Verteidiger*innen in einem hohen Umfang kriminalistische Methoden anwenden, gibt es auch die Auffassung, dass die
Kriminalistik zu den juristischen Kriminalwissenschaften zu zählen ist, da kriminalistisches Handeln zum Großteil auf einem rechtswissenschaftlichen Fundament beruhe. Vereinzelt wird auch die
Kriminalpolitik mit zu den Kriminalwissenschaften gezählt. Da aber mit dem Begriff Kriminalpolitik alle staatlichen und außerstaatlichen Maßnahmen gemeint sind, die zum Schutz der Gesellschaft
auf Verhütung und Bekämpfung von Kriminalität gerichtet sind und die Kriminologie als Grundlage der Kriminalpolitik anzusehen ist, geht diese Zuordnung zu weit.
Das Strafrecht, teilweise auch Kriminalrecht genannt, umfasst die Rechtsnormen, welche bestimmte Verhaltensweisen verbieten und legt die Rechtsfolge bei Verstößen dagegen fest. In
Deutschland ist das Strafrecht in Form des Strafgesetzbuches und zahlreicher Nebengesetze festgelegt. Das Strafrecht definiert objektive und subjektive Tatbestände und regelt die Rechtswidrigkeit
sowie die Schuldfrage. Das Strafprozessrecht schafft, neben weiteren rechtlichen Bestimmungen, die Grundlage für das Strafverfahren und ist das Instrument zur Umsetzung des Geltungsanspruchs des
materiellen Strafrechts.
Europa und die Menschen, die auf diesem Kontinent leben, unterlagen seit Anbeginn der Geschichte vielen unterschiedlichen Einflüssen und einem stetigen gesellschaftlichen Wandel. Nach den
Großepochen Frühgeschichte, Altertum und Mittelalter begann zum Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts die sogenannte Neuzeit. Viele Faktoren und Ereignisse, so z.B. die Eroberung
Konstantinopels durch die Osmanen und das damit verbundene Ende des Oströmischen Reiches, die Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg, die Entdeckung Amerikas durch Christoph Columbus
und die Reformierung der christlichen Kirche durch Martin Luther, beschleunigten das Ende des Mittelalters und den Aufbruch in die Moderne mit einem entstehenden neuen Weltbild. Mit der
Reichsreform wurde in dieser Zeit mehrfach versucht, den frühmodernen Staat der Deutschen neu zu ordnen, die Befugnisse und Einflüsse des Adels einzuschränken und die bestehenden
Rechtsunsicherheiten zu beseitigen.
Normabweichendes bzw. kriminelles Verhalten, welches von der Gesellschaft als nicht akzeptabel und sanktionierungswürdig angesehen wird, gibt es schon seitdem Menschen aufeinandertreffen und zusammenleben. Was normabweichend ist und was nicht, ist im sozialen Kontext das, was gemeinsam als Verletzung einer Norm definiert und vereinbart wurde. Die Definition legt also die jeweilige Gesellschaft für sich selbst fest. Es gibt Handlungen, wie z.B. Mord-, Raub- und schwerere Körperverletzungsdelikte, die seit jeher und in allen Kulturen sowie epochenübergreifend als verwerflich angesehen wurden und werden. Diesen „delicta mala per se“ stehen die „delicta mala quia prohibita“ gegenüber, Handlungen, die nur deshalb als verwerflich angesehen werden, weil sie verboten sind. Diese unterliegen aufgrund gesellschaftlicher Einflüsse ebenfalls einem ständigen Wandel, so z.B. der Bereich der Drogendelikte, aber auch die Sexualdelikte, wie z.B. die Abschaffung des § 175 StGB im Juni 1994 zeigt, der sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe stellte oder die Reform der Sexualdelikte, die - nach den Vorfällen in der Silvesternacht 2015 - zahlreiche Strafverschärfungen zur Folge hatte. Die soziologische Betrachtungsweise vom Kriminalitätsbegriff geht über diese Einordnung aber noch hinaus und schon Durkheim subsumierte jedes sozialschädliche Verhalten als deviant, als abweichend, unabhängig davon, ob dieses durch eine Rechtsnorm verboten ist, betrachtete es aber im gleichen Maße als notwendig zur Stabilisierung der sozialen Ordnung. Aber grundsätzlich bestimmt eine Gesellschaft für sich selbst, was sozialschädlich für sie bedeutet und auch, zur Bedürfnisbefriedigung, wie sie (be)straft.
Das reine Lernen des aktuellen Ist-Zustandes, hier des geltenden Rechts, ist nicht ausreichend. Das Wissen um die Rechtsgeschichte ist kein überflüssiges Beiwerk juristischer
Ausbildung und für die Rechtspraxis irrelevant, sondern die Kenntnis unabdingbar für die juristische Bewältigung aktueller Problemfelder und unverzichtbarer Teil der Strafrechtswissenschaft,
gerade auch für die Legitimität von Gesetzen und Strafen.
Kriminologie und Kriminalistik werden oft - so z.B. in der medialen Berichterstattung - miteinander verwechselt bzw. als Begrifflichkeit versehentlich synonym verwendet. Dabei unterscheiden sie sich maßgeblich, auch wenn sie eine enge Beziehung und eine gemeinsame Geschichte haben. Für die Kriminologie, die - wörtlich übersetzt - „Lehre vom Verbrechen“, gibt es zahlreiche - teilweise recht umfangreiche - Definitionsversuche. Nach einer weitverbreiteten von Schwind ist die Kriminologie, die in Deutschland universitär überwiegend bei den rechtswissenschaftlichen Fakultäten angegliedert ist, während sie im angelsächsischen und skandinavischen Raum bei den Sozialwissenschaften eingeordnet ist, der interdisziplinäre Forschungsbereich, der sich auf alle empirischen Wissenschaften bezieht, die es zum Ziel haben, den Umfang der Kriminalität zu ermitteln und Erfahrungen über die Erscheinungsformen und Ursachen der Kriminalität, über Täter und Opfer und über die Kontrolle der sozialen Auffälligkeiten einschließlich der Behandlungsmöglichkeiten für den Straftäter und der Wirkung der Strafe bzw. Maßregel zu erlangen.
International verbreitet ist hingegen die Definition von Sutherland/Cressy, welche die Kriminologie kurz und prägnant als „a study of lawmaking, lawbraking, and reactions to lawbreaking“ definiert. Die Kriminologie, die sich weiterer Bezugswissenschaften bedient, wie z.B. der Soziologie und der Psychologie, hat sich über die Jahre zu einer empirischen Wissenschaft fortentwickelt und ist somit auch keine „Hilfswissenschaft des Strafrechts“, wie Franz von Liszt sie in seinem Ideal einer „Gesamten Strafrechtswissenschaft“ einordnete, sondern eine eigenständige „Schwesterwissenschaft“ des Strafrechts. Zwischen der Kriminologie und der Kriminalistik besteht ein enges Bezugsverhältnis. Erst durch den Erkenntnisgewinn mit Hilfe der Kriminalistik ist es der Kriminologie möglich, durch Forschung die unterschiedlichen Erscheinungsformen von Kriminalität zu analysieren sowie die persönlichen und gesellschaftlichen Ursachen für kriminelles Verhalten festzustellen und daraus allgemeingültige Theorien abzuleiten.
So wie die Kriminologie die „Lehre vom Verbrechen“ ist, ist die Kriminalistik die „Lehre von der Verbrechensbekämpfung“. Die Aufgabe der Kriminalistik ist die Sachverhaltserforschung im Strafrecht, die Aufklärung der Tat. Mit den Möglichkeiten des Strafprozessrechts ist dies nicht möglich, da dort nur der rechtliche Rahmen vorgegeben wird, der zu beachten ist. Im Ermittlungs- bzw. Strafverfahren ist die reine Klärung der Rechtslage bzw. die Zuordnung zu einer Norm oftmals ein verhältnismäßig geringes Problem. Viel wesentlicher ist die forensische Aufarbeitung der Tatbegehung. „Die Erforschung der Wahrheit ist eine persönliche Leistung des Tatrichters“, so de Vries, und nach Bewertung des Bundesverfassungsgerichts auch eines der wichtigsten Ziele des Strafverfahrens (BVerfGE 57; 250, 257 Rn. 64 ff.). Im Ermittlungsverfahren wird die Sachverhaltserforschung weitestgehend von der Polizei betrieben, zu einem deutlich kleineren Anteil von der Staatsanwaltschaft. Diese ist mehr in der Theorie als in der Praxis die „Herrin des Verfahrens“ (Vgl. §§ 152, 160, 163 StPO). Diese Verschiebung hat historische Ursachen, da es 1877 bei der Verabschiedung der StPO eine Kriminalpolizei in der heutigen Form mit ihren umfangreichen Aufgaben und dem wesentlich größeren Personalkörper als den der Staatsanwaltschaften noch nicht gab. Die grundsätzliche gesetzliche Regelung macht aber deutlich, dass nicht nur die Polizei, sondern auch Staatsanwälte und Untersuchungsrichter, die den Sachverhalt in freier Beweiswürdigung zu bewerten haben, umfangreiche Kenntnisse der Kriminalistik benötigen. Andernfalls könnten sie ihrem gesetzlichen und gesellschaftlichen Auftrag nicht angemessen nachkommen.
Eine einheitliche Definition für die Kriminalistik, die eng mit dem Strafrecht verbunden ist, gibt es nicht, nur verschiedene Definitionsansätze. „Die Kriminalistik lehrt uns, wie ein
strafrechtlich relevanter Sachverhalt mit wissenschaftlichen Mitteln beweiskräftig erforscht wird; sie ist die Lehre von der Sachverhaltserforschung im Strafrecht.“, so de Vries. Eine sehr
umfassende Definition lautet nach Ackermann: „Kriminalistik ist die Wissenschaft von der Aufdeckung, Untersuchung und Verhütung von Straftaten und kriminalistisch relevanten Sachverhalten. Ihr
Gegenstand sind die Gesetzmäßigkeiten und Erscheinungen des Entstehens von Informationen (Spuren/Beweisen) bei der Straftatenbegehung sowie die Methoden ihres Auffindens, Sicherns und Bewertens
für Ermittlungs- und Beweiszwecke. Ihre Aufgabe ist, Ereignisse mit strafrechtlicher und kriminalistischer Relevanz aufzudecken, deren Ablauf zu untersuchen, den Täter zu ermitteln und mit
hinreichender Sicherheit zu überführen (Repression). Sie entwickelt aus Erkenntnissen zur Straftatenuntersuchung Verfahren zur Verhütung künftiger Straftaten (Prävention) und gibt
kriminalstrategische Empfehlungen zur Kriminalitätskontrolle und Bekämpfung von Straftaten.“ Diese Definition macht auch deutlich, dass die Kriminalistik nicht nur eine Hilfswissenschaft der
Kriminologie ist, wie von einigen (wenigen) immer noch - als mittlerweile Mindermeinung - behauptet wird oder eine strafrechtliche Hilfswissenschaft, sondern eine eigene Wissenschaft
darstellt.
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